KARRIERE, KINDER, KÜCHE?

Auch wir hatten leichte Verspätung. Man hat es nicht immer leicht im Leben. Doch das was uns vorgeführt wurde, sprengt die Vorstellung von nicht immer leicht.  

Besonderheit: Dritte Wand wird oft zum Dialogpartner. Einzeln auf der Bühne, spielen die Schauspielerinnen ihre Dialoge mit nicht sichtbaren Personen. Geschichten werden erzählt. Das Schauspiel ist da, aber nicht im Vordergrund im Theater Tri-Bühne am 13.Mai. Stück beginnt und endet mit einem Spiel auf einer Klangschale. Basierend auf den Texten von Franca Rame und Dario Fo. Regie Edith Koerber.

KKK S01 3702Szene 1
Name
: Mutter (Natascha Kuch)
Beruf: Vollzeit Hausfrau(mit Neigung zur kreativen Verstauung von Objekten/Lebensmitteln und Haushaltsutensilien, Bsp: Das Babypuder in der Parmesandose zu verstauen)
Nebenjob: Werktätig in einer Fabrik
Familienstand:
Verheiratet mit schlafenden Luigi im hinteren rechten Bereich der Wohnraumbühne, stolze Besitzerin eines echt lebenden Baby(bornpuppe), welches fleißig und schnell sein Geschäft erledigen, kann vor dem Besuch der KITA
Wohnort: 5 Bemalte Leinenwände, von links nach rechts über ein schwarzes Podium verteilt. Gesamte Ausstattung zieht sich über eine Waschküche, eine kleine Kochstelle, nette kleine Schränke, gleich daneben der schlafende Ehemann Luigi mit plastischer leerer Hälfte eines Doppelbettes. Und zu guter Letzt: erneut ein Stau und Küchenraum. Im Zentrum dieses Raumes, das vielleicht wichtigste Element der Szene, der Wickeltisch. Vorne rechts griffbereit der Jackenständer. Insgesamt schaffen die liebevoll bemalten Leinenwände Platz zum Spiel.
Äußerlichkeiten und Auftreten: Braun zerzaustes Haar, wohlwollend dank Mangel an Zeit geschaffen und kreiert. Mit Vorliebe zu Multitasking, erzählt die Protagonistin gerne von ihrem Verlust ihres Schlüssels und der Wiederaufnahme der zuletzt gebliebenen Erinnerungen ihres Alltags. Gleichwohl schafft sie es, all ihre schmeichelhaften Fehler (Die Milch mit dem Waschmittel zu vertauschen) in humoristische Selbstkritik zu äußern und im Allgemeinen über das Chaos daheim her zu meckern. Entschlossen Baby zur KITA bereit zu machen, sich selber für die Arbeit herzurichten und ihren verlorenen Schlüssel wiederzufinden, erlebt man als Betrachter eine wirbelnde stereotypische Frau mit kräftiger Stimme.
KKK S01 3805Atmosphäre: Mitreißend fiebert man mit. Ja man wusste das das Leben einer berufstätigen Mutter mit Stress und viel Organisation zu tun hat. Dennoch lacht man begeistert der hechelnden Frau zu, um mit Komik über die eigentliche Misere hinweg zu kommen. Trotzdem bleiben einem Gedanken kleben. Leben wir in einer Gesellschaft die Familie und Beruf voneinander trennen möchte? Letztlich ein netter aber etwas banaler Wendepunkt. Ein fahrendes Spielzeug Auto, das mir nichts dir nichts, einfach aus dem OFF erscheint und die Mutter anspritzt und sie dazu veranlasst nach weitere Kindern zu rufen und diese zu ermahnen. Diese wiederum machen ihre Mutter darauf aufmerksam das eigentlich ja Sonntag sei und damit endet schließlich der Wahn und eine Hymne auf den Sonntag ertönt und der Niederstreckung aller anderen Wochentage.

Bühnenwechsel: Übertriebene Bewegungen zu cooler Musik. Schwarzlicht.


KKK S01 3882Szene 2

Name:
Kommunistische Mutter mit ausgeprägten russischen Akzent (Natascha Beniashvili-Zed)
Beruf: Tätigkeit nach Politbürokarriere: Liebesheirat und Schwangerschaft führten zur fesselnden und freiheitsberaubenden Mutterschaft. Momentan auf der Flucht vor der Polizei.
Wohnort: Unbekannt. Frei lebend, von der Familie abgewendet. Tauchte in die eigene Freiheit hinab und schaffte durch das Ablegen der Familienfesseln, eine Kehrtwende von Bemutterung zur Selbstfürsorge, die Sie für Sohn und Ehemann all die Jahre davor aufgeben hatte.
Aufenthalt: Beichtstuhl einer Kirche. Unklar ob Sie sich im Beichtstuhl befindet, oder außerhalb im Kirchengebäude. Klopfgeräusche an eine nicht sichtbare Tür signalisieren die kommende Polizei, die nicht eintritt, was einen schmunzeln lässt, da hier die nötige Erklärung fehlt: Was hält die Polizei ab, einzutreten? 3 bemalte Leinwände bilden einen Quader mit drei sichtbaren Wänden. Darin ein stummer Pastor. Bedrängt von der Kommunistin, nimmt er ihr widerwillig die Beichte ab.
Auftreten: direkte, harte Art. Unglaubliche Erzählkunst. Durch komponierte Sprachmelodie vermag es einen zu bannen, obwohl das erzählte Material ihres bisherigen Leben für einige unglaubwürdig erscheint. Pointiert und überzeugend im Spiel verrät sie einem wie die Liebe ihr ein Schnippchen drehte und sie letztlich ein zufriedenes Leben in der Unabhängigkeit finden konnte.
Atmosphäre: Langatmige Analogie aus dem frühen 19 Jhd. Zu heutigen Müttern, die trotz Familie ein Leben in der Unabhängigkeit führen möchten.

Bühnenwechsel. Ein Bürostuhl. Ein kleines Mikrophon.

KKK S01 4224Szene 3
Name: „
Ich mag es lieber wenn Sie Nutte zu mir sagen würden. Prostituierte klingt so komisch.“ (Sofie Alice Müller)
Beruf: Nutte. Davor Werkarbeiterin.
Wohnort: Psychiatrische Anstalt.
Aufenthalt: Interviewsituation mit einer Ärztin. Jene befindet sich jedoch während des Gespräch nicht im Raum und kommuniziert mit der erwähnten Prostituierten nur über Mikrophon und Lautsprecher. Selbst nach einer unabsichtlichen Zerstörung der verbindeten Kopfhörer überspielte jene Befragte das Missgeschick und konnte dennoch mit der Ärztin weiter reden.
Äußerlichkeiten/Auftreten: Frech, sympathisch. Vor allem sehr jung und stark psychisch angeschlagen. Diese junge Dame, die ohne ihr dazutun zur Prostitution durch Konventionen und Geldmangel geschoben wurde, erscheint in bunter Hose und nettem weißen Negligee.
Atmosphäre: Ohne die Absicht Mitleid zu erregen, möchte Sie Klarheit schaffen, wie es zu jenem Vorfall kam, der Sie in die Psychiatrische Klinik brachte. Trotzdem entsteht eine Totenstille, die sich bis ins Mark hinein beißt. Angefangen hat ihr Zugrunde-gehen in einer Fabrik. Bis zum ersten Zusammenbruch arbeitete Sie unter menschenunwürdigen Bedingungen. Da ihre Erzählstruktur sehr verwirrend und überlappend geformt ist, kann die Rekonstruktion ihrer Ereignisse nicht en détail gelingen. Trotzdem ermöglicht diese besondere Form dem Zuschauer das innere Chaos der Frau, den erlebten Wahnsinn nachzuempfinden. Als Zuschauer ringt man mit dem Erzählten und muss verarbeiten, was alles geschehen ist. Traumatische Erlebnisse wie die Massenvergewaltigung von Multi und Schweinehunden, erzeugen unangenehme Mischgefühle in einem. Der Voyeur schämt sich vor der schrecklich detaillierten Scheiße, die dieses Mädchen erlebt hat. Letztlich abgesitzt ist das Interview, als Sie von ihrer ernüchternden Revanche erzählt. Denn obwohl alles nach Plan lief und der misshandelte Täter vor Gericht kommt, schweigt die zuvor kontaktierte Presse und lässt das Mädchen mit Ratlosigkeit im Gesicht zurück. Der wohl schwierigste Moment im Theater.

Bühnenwechsel: Alles wird abgeräumt. Die Schauspielerinnen vereinen sich im Chor.

KKK S01 4554Szene 4
Name:
Medea (Natascha Beniashvili-Zed)
Auftreten: Das schwarze Kleid schmeichelt Medea. Die Schauspielerinnen kommen zusammen und spielen und erzählen die Entscheidungsfindung und Begründung Medeas: Warum Sie ihre eigenen Kinder umzubringen hatte, um endlich die Fesseln ihres Mannes abzuwerfen. Schlicht gehalten, trotzdem pathetisch zum Publikum die alten Zeilen spielend, schließt sich der Kreis um das Thema „Rolle der Frau“ im heute und gestern.

Warum?
Warum in dieses Stück?
Blick auf die Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft. Der ursprüngliche Text stammt von 1970, wo stehen wir heute? Wie hat sich die Rolle der Frau entwickelt? Fragen die auftauchen und zum Denken anregen. Macht Lust auf mehr im Buch zu lesen oder zu sehen. Für all jene die auf intensive Geschichten abfahren und starke Frauen sehen wollen.

Text: Hannah Prendecky
Bilder: Michael Schill