Familie Dada im Urlaut Wald

Proklamation zum Nonsens. Die Renaissance des Dadaismus zu Zeiten postmoderner Verelendung des Theaters.

Bereits beim Flanieren durch den romantisch anmutenden Cluss-Garten taucht man in den URLAUT WALD der Dadaisten ein. Ein Kuriosum, die Manege der Schwerelosigkeit besticht durch usuelle Gegenstände, welche als obskure Raritäten, das Panoptikum der Fantasten zieren. Polemische Aphorismen wie »Alles funktioniert nur der Mensch nicht mehr« bereiten die zahlreich anwesenden Spektatoren bereits auf das Kommende, 70- minütige Spektakel, vor.

Ein schriller Laut aus einem blechernen Megaphon, der dadaistische Brandstifter Hahubalay betritt in revolutionärer Uniform die Bühne. Ihm folgen der artifiziell stotternde Träumer Toto und der Freigeist Pimperling, dessen Äußeres stark an den jungen Tristan Tzara erinnert. Dann der Aufruf von den Früchten des Gagabaumes zu kosten, eine absurde Handlung die stark an den Sündenfall erinnert. Der Zuschauer allerdings gelangt hierdurch weder an Erkenntnis, noch wird er aus dem paradiesischen Eden vertrieben. Stattdessen soll er losgelöst von sämtlichen gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen, die phantastische Reise des geistigen Nihilismus antreten.

Erklärte Destination der Protagonisten ist es zudem, dass Steckenpferd, welches die anomale Literatur- und Kunstbewegung chiffriert, vor der kulturellen Gleichschaltung der Moderne zu bewahren. Anschließend befreien sich die Idealisten, die keine sein wollen, von den schleimigen Tentakeln des menschlichen Gehirnes und beschränken sich auf ihren Ursinn. Dieser zeigt sich im Makrokosmos der darstellerischen Möglichkeiten. Die Akteure tönen, singen, musizieren, tanzen und mimen – eine Symbiose aus Musik, dynamischer Bewegungen, temperamentvoller Ekstase und interaktiven Spiel mit dem Publikum. Neben den zahlreichen literarischen Werken Hugo Balls, um beispielsweise »Karawane« und »Katzen und Pfauen« zu nennen, brilliert die dramaturgische Vorlage auch mit neuen Neologismen und Wortdeutungen, hier beweist Peter Kratz als kreativer Kopf und Regisseur hohes qualitatives Gespür, indem er geschickt den Bogen zwischen Anspruch und Unterhaltung spannt.

Der Zuschauer metamorphosiert im Verlaufe des kurzweiligen Stückes selbst zum Träumer, zum in sich ruhenden, revolutionären, dekadenten Wesen, welches in den Weiten des Äthers entschwebt. Dies gelingt den Schauspielern durch amüsante Passagen wie den Unterwasserzirkus, bei dem durch großartige pantomimische Fertigkeiten, ein imaginäres Seepferdchen mit einem Fliegenfisch einen sinnlichen Reigen aufführt. Im weiteren Verlauf bemüht sich Pimperling einer allgemeingültigen Definition des Dada Begriffes und rezitiert hierbei Passagen von Tzaras »Sieben Dada Manifesten«. Hier gewinnt die Inszenierung philosophische Aspekte – DADA ein politisches, gesellschaftliches Konstrukt, welches sich doch zugleich jeder Weltanschauung entledigt und im Nonsens zerfällt. So muss man konstatieren, dass Dada alles sein kann, eine Antikunst, Klamauk und Humbug, der Bruch mit unserem gesellschaftlichen System, der bestehenden Ordnung, dem Establishment, doch in erster Linie ist Dada die Befreiung des menschlichen Geistes – also Nichts. Doch Dada hegt keinen weltlichen Anspruch, sobald Dada mit Attributen konnotiert werden kann entzieht es sich diesen sogleich – DADA ist dadadada.

3.Dadaistic-Revolution@ThS

Das Trio, Andreas Klaue als Hahubalay, Bernhard Linke als Pimperling und Marius Hubel als Toto, überzeugt durch darstellerische Facette. Diese offenbart sich durch distinguierte dialektische Sprache, individuelle Bewegungsabläufe und Authentizität. So avancieren sich die drei Darsteller schnell zu Sympathieträgern des begeisterten Publikums. Laura Yoro (Kostüme) und Enno Craiss (Bühne) bestechen mit ihren gestalterischen Ideen, die moderne, phantasievolle, sinnfreie Einflüsse mit den Ursprüngen der dadaistischen Bewegung im Cabarete Voltaire vereinen. Durch ihre Liebe zum Detail und ihre laissez-faire Verspieltheit entdeckt der aufmerksame Zuschauer textliche Bezüge in Bühne und Kostüm. Der Regisseur Peter Kratz entwirft in seiner Inszenierung surreale Bilder und verwischt die Grenzen zur grauen Realität. Durch akzentuierte Einsatz von Musik, aufeinander abgestimmte, dynamische Szenenwechsel und vielseitigen sphärischen Brüchen entsteht ein getaktetes Tempus, das sich jedem Sinn entzieht und doch so sinnlich wirkt.

Im sonst so tristen Alltag der hiesigen Theaterszene setzte Kratz neue Impulse, beruft sich auf die zeitlose Fantasie der Menschen. Hier ist der Mensch gefordert sich loszulösen und den Abend, ganz ohne multimediale Leinwandschlachten, horrende Spieldauer, provakantes Geschrei und die Vergewaltigung literarischer Klassiker, zu genießen.

Dies honoriert am Ende das Publikum mit brausenden Beifallstürmen, schallenden Gelächter und strahlenden Gesichtern, beim Verlassen des Gartens. Das Publikum sah von jeglichen Schmährufen und abwertenden Würfen von Tomaten und gelegentlich auch Steaks, wie es zu ursprünglichen Dada-Zeit die Regel war, ab, sicherlich zum Wohlwollen von Tristan Tzara und seinen Mitstreitern.

Text: Philipp Wolpert, Tobias Frühauf

Bilder: Theatersommer Ludwigsburg