Krabat

–  Der Ruf des Theaters! Es wird ja schließlich nicht zu meinem    Schaden sein, oder?

‚Also, aus den eigenen Reihen‘, werden manche nun denken. ‚Die Redaktion schreibt über die Produktion ihrer Kollegen! Wie objektiv kann das wohl sein? Die packen sich gegenseitig bestimmt in Watte! Bloß keine Gefühle verletzen – wäre ja schädlich für den Teamgeist, oder?‘ Diese Bedenken möchte ich hier am Anfang ganz schnell aus dem Weg räumen:

Otfried Preußler war schon früh ein sehr geschätzter Gast in unserem Familienhause – und zwar in meinem Kinderzimmer! Gesehen  in Form von „Die kleine Hexe“-Büchern – gelesen auch – versteht sich; gehört in einer Art „Räuber Hotzenplotz“- Kassettenmanie, die mein langer Begleiter war. Gestoßen bin ich auf „Krabat“ in meiner Pubertät und diesem Roman Preußlers schließlich ebenfalls verfallen. Der Sog, den dieses Buch auf mich hatte, gleicht wohl dem Ruf des Meisters in Krabats Gedanken. Als ich von der Aufführung hörte, waren meine Bedenken, ob diese Aufführung meinem Ansprüchen gerecht werden würde – uninteressant blieb dabei, dass meine Kollegen Regie führten und selbst in die Rollen schlüpften! Kurz gesagt: Sie hätten sich keinen schlimmeren Kritiker ins Haus holen können!

Das zu besuchende ‚Haus‘ ist im Falle „Krabats“ ein besonderer Ort – jedenfalls keine typische Spielstätte. Besagter Schauplatz befindet sich nämlich in der „Alten Gutskelter“ inmitten des beschaulichen Kleinbottwars, der eigens für die Inszenierung bereit gestellt wurde. Im Innern birgt dieser ein unglaublich authentisch wirkendes Bühnenbild, das vom Betreten bis zum Verlassen der Spielstätte seine eigene Mystik ausstrahlt. In blaues Licht getaucht sieht der Zuschauer auf einen zweistöckigen Scheunenboden, verbunden durch eine Treppe im rechten Eck, in dessen Mitte das drehbare, selbstgebaute „Mühlrad“ angebracht ist. Im zweiten Stock stehen die Betten der Gesellen und ein Esstisch. Auf der linken Erdgeschossseite steht auf einem kleinen Podest ein Mischpult mit Keyboard und übriger Technik. Dahinter ein weißgesichtiger, sonnenbebrillter Mann im roten Anzug, welcher Ton und Musik in selber Weise beherrscht, wie das Schicksal der Mühle und deren Gefangenen. Musiker Stephen Elzenbeck gibt dem Stück eine einzigartige Klangwelt. Die Hintergrundgeräusche und wiederkehrenden Themen überlagern das theatralische Geschehen nicht, sondern verstärken Stimmungen, setzen szenische Schnitte und erschaffen eine Sphäre drohender Gefahr. Die kalte Wesensart des Gevatters stellt er durch schlichte langsame Bewegungen dar, durch die er bei seinen kurzen Auftritten wie ein nichtmenschliches Geschöpf wirkt, welches mit teuflischer Gelassenheit über Tod und Leben entscheidet. Vervollständigt wird die dunkle Szenerie durch düsteres, sich je nach Szene veränderndes Licht und leichten Nebel, der mal stärker, mal schwächer über dem Boden wabert. Auf dem Boden ragt ein Streifen hölzerner Straßensplitt bis unter die Zuschauertribüne und bildet einen Kontrast zum nackten Kellerasphalt. Ob Krabat beim Anblick der Mühle im Koselbruch wohl dieselbe Faszination verspürt hat?

titelbild_krabat-und-meisterDem Ruf des Meisters ist er jedenfalls gefolgt! „Krabat! Komm nach Schwarzkollm in die Mühle, es wird nicht zu deinem Schaden sein!“ erklingt es nun im Gutskeller, worauf Krabat seine Wegbegleiter verlässt, um Mühlengeselle zu werden. Der Meister lässt nicht lange auf sich warten, tritt im imposanten schwarzen Ledermantel, dazu Springerstiefel und Augenklappe auf die Bühne. Selbstsicher, ausdrucksstark und unheilvoll wirkend. Sein slawischer Akzent fällt sofort auf. Zu viel des Guten? Nein, im Laufe des Stückes wirkt es, als ob die harte Sprechweise und das ausdrucksstarke „R“ schon immer zur Person des Meisters dazugehört hätten. Gerade auch wegen seiner Stimmgewalt und Ausstrahlung überzeugt Alexander Ilic und gibt dem sadistischen, fast wahnsinnig wirkenden Zaubermeister ein Gesicht. Seine Gebärden spiegeln ebenso die Furcht vor dem Gevatter, dem er selbst unterworfen ist, wider, als auch seine Freude an der Kontrolle und Zerstörung anderer Menschen.

lyschko-ist-nicht-zu-vertrauenDie Begrüßung der bald vorgestellten Gesellen, deren Anzahl von „ein Dutzend“ in eine magische Sieben eingetauscht wurde, ist nicht gerade herzlich. Besonders der hinterlistige Lyschko – dem Gunnar Schwarm eine eklige, teils lüsterne Ausstrahlung verleiht – stellt sich zu gern gegen seine Mühlenbrüder und hofft selbst auf die Gunst des Meisters. Bis auf Tonda und Juro sind die restlichen jungen Männer zu Beginn eher abgewandt. Was geht hier nur vor? Spannung ist in der Luft zu spüren und das ungute Gefühl Krabats, das sich während der Arbeit verstärkt, welche die anderen so mühelos zu erledigen scheinen, bestätigt sich. Etwa Zauberei? Krabat – von Jan Schneider hervorragend dargestellt – fragt und wird mit Andeutungen abgespeist. Schneiders Jugendlichkeit und Natürlichkeit im Verkörpern und Verbalisieren seiner Rolle machen es dem Zuschauer sehr einfach, ihn als Krabat vollkommen anzunehmen. krabatSeine emotionale Spielweise, welche Krabat zunächst naiv und unwissend wirken lässt, erlaubt es, den Protagonisten um drei Lehrjahre älter werden zu lassen – bis er zum selbstsicheren, unbeugsamen Krabat heranwächst. Ihm wird bald das dunkle Geheimnis gelüftet. In nächtlichen Lehrstunden liest der Meister aus seinem Zauberbuch, dem Korraktor, vor und lehrt den in Raben verwandelten Gesellen das Zauberhandwerk.

„Vorarbeiter“ Tonda nimmt Krabat an die Hand und wird sein bester Freund. Beschützend und belehrend hilft er ihm Fuß zu fassen, doch etwas scheint ihn zu bedrücken – der Verlust seiner Liebe Worschula und sein eigener nahender Tod. In einer kurzen Sequenz wird die Liebesgeschichte der beiden, in träumerisches warmes Licht getaucht, erzählt. Tobias Frühauf, selbst Dramaturg, offenbart in seiner Mimik den zerrissenen Charakter Tondas, der trotz seiner Todesdrohung versucht, den Alltag mit seiner ersatzvatergleichen Haltung am Laufen zu halten. Mit starker Präsenz stirbt er in der Silvesternacht und kehrt als Geist – wie ein Mahnmal – zurück. Mit entblößtem Oberkörper, vor den Zuschauern stehend, versinnbildlicht er überzeugend die nackte, grausame Wahrheit der Mühle. Magie und Macht im Tauschhandel gegen Einsamkeit, harte Arbeit und Unbarmherzigkeit.

Nach dem Tod wird der zunächst trottelige Juro Krabats nächster Vertrauter. Fantastisch von Leah Wewoda imitiert, die mit verstellter Stimme und in gekrümmter Körperhaltung über die Bühne watschelnd eins mit dem fiktiven Gesellen zu werden scheint und dem Publikum keine Chance lässt, diese Figur nicht zu lieben. Als Juro Krabat über sein vorgetäuschtes Wesen aufklärt und ihm scharfsinnig den einzigen Weg offenbart, um die Mühle zu verlassen, fällt Wewoda nicht aus ihrer Rolle, sondern bewahrt sich ihre intensive Mimik und überzeugende Ausstrahlung.

Das Stück wird von drei „Stimmen“ begleitet, die der Geschichte eine neue Facette geben. In weise Gewänder gekleidet und weißer Gesichtsbemalung wirken sie wie drei Geister aus einer anderen Sphäre. Durch poetische, gesellschaftskritische und reflektierende Einwürfe trennen und verbinden sie die einzelnen Szenen miteinander. Gekonnt schweben sie über dem Geschehen und brechen die Illusion, um den Zuschauer auf die Symbole im Stück aufmerksam zu machen. Die gestreiften Gesellenhemden, die schweren Stiefel des Meisters und der wiederkehrende Appel um sich in Reih und Glied aufstellen – schließlich wird der Aufseher, halt der Gevatter, erwartet… Die durchgehende Symbolik wirkt keinesfalls aufgesetzt, sondern hilft dem Zuschauer die tiefere Bedeutung im Stück zu finden. Preußler selbst verarbeitet in „Krabat“ die NS-Zeit und seine eigene Gefangenschaft. Herausstechend ist Lilli Bock, die durch ihre Stimme, ihrem Mienenspiel und der Körpersprache sehr eindringlich ihre Botschaften ans Publikum vermittelt. Sarah Scholl überrascht mit tollem live gesungenem Endsong.

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Krabats Befreiung ist der sehr unter die Haut gehende Schluss der Inszenierung. Die Kantorka kommt, um ihren Geliebten freizuwünschen. Dargestellt von Karishma Stutz steht die Vorsängerin mit verbundenen Augen den Gesellen gegenüber, um ihren Krabat zu erkennen. Zu schüchtern spielt sie die Verliebte und wirkt bei gemeinsamen Szenen mit Schneider etwas abwesend, wogegen sie am Ende des Stückes Krabat mit sicherer Stimme beim Meister freibittet und nunmehr ihre Rolle gefunden zu haben scheint. Man darf gespannt sein, wie sich die junge Darstellerin entwickeln wird – Ausstrahlung besitzt sie allemal.

Regisseur Philipp Wolpert zieht mit seinem „Krabat“ einzelne Schlüsselszenen aus der Geschichte und bringt diese mit wenigen Requisiten – wie einzelnen Stühlen, einem Sarg oder Mühlsäcken – glaubhaft auf die Bühne. Mit gekonnter Hand verbindet er Stimmungsumbrüche, leitet die Darstellenden an, die Bausteine so zu präsentieren, dass das Stück überzeugt und nie langatmig erscheint. Humorvoll spielt Markus Berkmann den Andrusch, der als Ochse verkauft wird, ebenso sorgen die Viehhändler und Soldaten für eine große Portion Komik im Stück. Die drei Stimmen sorgen für den klugen Bruch der Spielwelt und wirken nicht fremd in Preußlers erschaffener Welt, sondern erweitern sie. Die Übergänge zwischen lustigem und düsterem Schauspiel sind fließend. Eine spannende, hörens- und sehr sehenswerte Inszenierung nach der Theaterfassung von Nina Achminow – dank der großartigen Regie von Philipp Wolpert, der den Zuschauer in die Welt Krabats eintauchen lässt und lange Zeit im Gedächtnis verbleibt. Das Motto Wolperts und seines Cousins Frühaufs: „Theater ist TundT“ scheint hier erfolgreich aufgegangen zu sein – die ‚schlimmste‘ Kritikerin ist jedenfalls mehr als angetan…!

Text: Charlotte Appenzeller