Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

Der Krieg ist vorbei, der Pop erhellt hier und da die Gemüter, ansonsten ist draußen alles grau, innen auch. Zwischen BRD und DDR, Krautrock und Pop, da soll man erwachsen werden. Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 im Stuttgarter NORD unter der Regie von Armin Petras bebildert eine Zeit des Umbruchs, gleichermaßen bunt wie grau.

Der Bühnenraum ist übersät mit Schaufensterpuppen, im Stil der 60er und 70er Jahre gekleidet, statisch. Diese Momentaufnahme eines Massenauflaufs könnte draußen oder drinnen stattfinden, auf der Fußgängerzone oder im Kaufhaus. Im April 1968 brennen in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser, kurz darauf können die Brandstifter gefasst werden: Mitglieder der Roten Armee Fraktion, daran will das Bühnenbild wohl anknüpfen. Inmitten der Massen geben Die Nerven, Krautrockband aus Stuttgart, ordentlich Bass. Sie sind musikalisch wie optisch zweifelsohne den 60ern zuzuordnen. Es wird ganz schön laut, die anfangs verteilten Ohrstöpsel kommen zum Einsatz.

Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind fließend, an der Grenze zum Wahn, aus Sicht des namenlosen Erzählers, der Teenie, 13 Jahre alt. Claudia findet er toll, sie ihn nicht. Denkt er. In der Pflege seiner kranken Mutter unterstützt jetzt die Schwester von der Caritas (Julischka Eichel), attraktiv, aufgedreht, ausgedacht? À propos Caritas: Die katholische Kirche nimmt einen großen Teil im Leben des 13-Jährigen ein, muss er doch wöchentlich zur Beichte. Auch wenn sich seine Sünden lediglich auf falsch entsorgte Teebeutel belaufen…“Das ist schlimm. Das ist sehr schlimm“, raunt der Pfarrer (Peter René Lüdicke) seine Standardantwort durchs Teesieb.

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Das Puzzle aus wäre und ist zieht sich durch alle Teilbereiche des Teenie-Lebens, Bezüge zur Geschichte werden hergestellt, markante Bilder heraufbeschworen, wie das Kommune-I-Bild; mit heruntergelassenen Hosen, Blick gen Wand. Die Beatles bekommen als Boten der Zeit Aufmerksamkeit gewidmet, ebenso wie Jimmy Hendrix.

Was um ihn herum passiert und was er selbst initiiert, das verschwimmt in den Augen des 13-Jährigen schon lange – und auch als Zuschauer ist es nicht immer eindeutig. Seinen (düsteren) Gedanken lässt er freien Lauf indem er Aufzeichnungen in ein Buch einträgt, die per Livekamera an eine Leinwand gebeamt werden. Früher oder später wird die Projektionsfläche bekleckst sein mit gelber Farbe, stellvertretend für Pfannkuchenteig. Zeitschriftenschnipsel, Fingerfarbe und abgepauste Apothekenwappen als Begleitmaterial zum ablaufenden Text, gesprochen von der Truppe der Schlaghosen- und Nicki-Pullover-Träger. Die ihre Clique prompt RAF taufen, in den Nachrichten haben sie das Kürzel aufgeschnappt. Als selbsternannte RAF liefern sie sich Auseinandersetzungen mit der Polizei bis hin zum Bankraub. Wirklichkeit oder Fiktion, das kann so genau niemand mehr sagen. Was folgt, das ist nun wieder klar ersichtlich, ist die Einweisung des 13-jährigen namenlosen Erzählers ins Sanatorium, mit Indianer-Squaw-Kopfschmuck. In welchem Maße ihm dafür Verantwortung zuzuschreiben ist, sei dahingestellt – deutlich wird in dieser Inszenierung, dass die zerrüttete Gesellschaft der 60er-BRD ihren gehörigen Beitrag leistet.

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Die Umsetzung steht dem etwas sperrigen und eigenwilligen Stücktitel in nichts nach; kurzweilig und amüsant, trotzdem wird Ernsthaftigkeit bewahrt. Die Nerven fahren die Schiene des Neo-Krautrocks auf und sorgen für das gewisse Konzert-Etwas. Sicherlich können erst nach mehrmaligem Schauen  alle Teilbereiche dieses visuellen Wimmelbildes entdeckt werden…

Text: Leah Wewoda 
Bildrechte: Thomas Aurin