Die Glasmenagerie

12.01.2018// Forum am Schlosspark, Ludwigsburg – Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin

Laura Wingfield (Linn Reusse) ist ein gläsernes Einhorn. Eigentlich nicht existent zwischen den Herdentieren, den Pferden, den Menschen – Nichtverstanden. Scheu, introvertiert und zurückgezogen lebt sie in den Tag hinein, schwelgt vor sich hin und entzieht sich den gesellschaftlichen Konventionen. Alte Schallplatten und eine Pappschachtel voll mit kleinen Glastierchen – Pferdchen und ein Einhorn.
Dies sind die Gebilde ihrer selbst konstruierten Traumwelt. Im Stich gelassen von einem Vater, der ein Dasein als herumstreunender Wolf, dem Familienleben vorzieht, um sich den Lastern der weiten Welt hinzugeben – Glücksspiel, Frauen und Alkohol.

Ihr Bruder Tom (Marcel Kohler) arbeitet in einer Schuhfabrik – monatliches Einkommen 65 $ – und hält die Familie über Wasser. Er ist gefangen in der Ersatzrolle ihres verschollenen Vaters und betätigt sich als Hobby-Shakespeare und schreibt seine Lyrik auf die Schuhschachteln in der Fabrik.
Umsorgt werden die beiden Geschwister von ihrer fürsorglichen Mutter Amanda (Anja Schneider), die ihre Kinder lautstark bevormundet und bereits passende Lebensentwürfe für diese ausgearbeitet hat. So bittet sie auch Tom, einen Arbeitskollegen zum Abendessen einzuladen, um diesen mit Laura zu verkuppeln und eine Heirat zu arrangieren. Der Abendgast Jim O ́Connor (Holger Stockhaus) erscheint und entpuppt sich als Lauras Jugendliebe. Sie öffnet sich ihm gegenüber, doch das Fiasko ist vorprogrammiert, denn O ́Connor ist verlobt.
Die menschliche Realitätsflucht ist das zentrale Thema von Tennesse Williams Theaterklassiker. Tom hasst seine Arbeit, er träumt von einem Dasein als schreibender Vagabund, der in die Fußstapfen seines Vaters tritt und das erdrückende familiäre Dasein hinter sich lässt. Mit abendlichen Kinofilmen und alkoholischen Exzessen versucht er das Leben eines verwegenen Abenteurers zu simulieren, es bleiben Szenen auf der Leinwand. Amanda schwelgt in den Erinnerungen ihrer Jugend, in der sie als reizende Dame Männerköpfe verdrehte. Sogar O ́Connor entflieht seinem Leben als verlobter Mann, als er eigennützig mit Laura und Amanda anbandelt.
 
Schallplatten und Glastiere, einzig Laura gelang die Realitätsflucht, doch O ́Connor raubt dem Einhorn sein Unikat. Symbolisch wird Laura zum Pferd zum Mensch, sie ist angekommen im auswegslosen irdischen Dasein – es bleibt nur Leere und Depression.
Stephan Kimmig gelingt eine zeitlose Inszenierung von Williams Werk. Das stimmige Bühnenbild(Katja Haß) und die kalte Beleuchtung erzeugen bei dem anwesenden Publikum eine Atmosphäre der Perspektivlosigkeit. Eindrucksvoll ist der Beleuchtungswechsel von kalten Industrieleuchten und warmem Kerzenschein – ein verzerrter Spiegel der Stimmungen und Gefühlslage der Protagonisten.
 Der Einsatz von wohl ausgewählten Musiktiteln erzeugt einen dynamischen Szenenwechsel, der cineastisch, symbolistisch und zuweilen surreal anmutend ist und das innere Seelenleben der Akteure offenbart.
Ferner tut es gut, dass Kimmig auf den Einsatz einer melodramatischen Stilistik verzichtet und stattdessen wohldosierte Komik einsetzt, die das Stück frisch und kurzweilig erscheinen lassen. Dies sorgt für einige Aufatmer und Lacher. Allein die persiflierende, überspitzte Handlung ermöglicht eine sachgerechte Wiedergabe bzw. Reflektion des menschlichen Scheiterns, das von außen betrachtet wohl immer ulkig wirken muss.
Die Schauspieler bieten allesamt eine überzeugende Leistung an. Hervorzuheben ist Anja Schneider, im Stuttgarter Raum, ein nur allzu bekanntes Gesicht, als Amanda Wingfield, die permanent exzentrisch, nervtötend und lautstark ihre Kinder traktiert. Glaubhaft verkörpert sie eine innerlich zerrissene Frau, die jung geblieben ist, eigene Bedürfnisse und Verlangen unterdrückt, um sich völlig überfordert ihrer Mutterrolle hinzugeben und diese in ihren Augen zum Wohle ihrer Kinder ausfüllt. Marcel Kohler spielt Tom Wingfield als gelassenen Haudegen, der zudem
als epische Instanz, retrospektiv die erzählte Handlung dokumentiert. Die insgesamt starke Leistung des Berliner Gastspiels wird mit wohlwollendem Applaus des Ludwigsburger Publikum honoriert.
Text: Tobias Frühauf
Bildrechte: Arno Declair