Das Leben auf der Praça Roosevelt

„Das Leben auf der Praça Roosevelt“ // 07.12.2018 // Wilhelmatheater Stuttgart

Der Tod schmeckt nach Orangen. Es ist ein Stück Traurigkeit, das auf der Bühne des Wilhelmatheaters Stuttgart spürbar gemacht wird. „Das Leben auf Praça Roosevelt“ von Dea Loher lässt Figuren zu Wort kommen, deren Alltag gespickt ist von Selbstaufgabe, Lebensunmut und tiefer Traurigkeit.

Schwere Kost, diese Inszenierung von Eugen Jebeleanu. Beginnt sie leichtfüßig im Foyer des Theaters mit einem Dialog, der den Einlass anleitet, ist im Saal selbst schnell klar, welcher flächendeckenden Melancholie dieses Stück unterliegt. Es ist so ein Gefühl im Bauch, das sich schnell einstellt, getragen von sphärischen Klängen am linken Bühnenrand, wo sich vier Musiker eingerichtet haben, die mit Klavier, Gitarre, Bass und Schlagzeug gesprochene Passagen unterlegen.  Zusehends werden die angenehmen, süßen Klänge bedrückend – wie ein Stück Schokolade, das erst im Abgang seine bittere Note entfaltet.

Verortet ist das Stück in der Textvorlage in Sao Paulo, in der Umsetzung wird das nicht konkret. Muss es auch nicht, das stechende Weiß der Bühne zeugt von der Tristesse, die bezeichnend ist.
Jede der Figuren müht sich auf ihre Art und Weise ab im Leben, ohne wirklich zu wissen, wofür.
Vito (Laurenz Lerch), aufgeführt als „ein Fabrikbesitzer“, fasst das zusammen mit den Worten „Jeden Morgen fragen Sie mich, wie es mir geht. Aber Sie fragen nicht nach mir, in Wirklichkeit wollen Sie wissen, wie es dem Geschäft geht. Das ist alles, wofür Sie sich interessieren.“

Ein Satz, der sich als Überschrift über alle handelnden Personen stellen lässt. Zwischenmenschliche Beziehungen sind rar, man kommt miteinander aus, voneinander wissen möchte man nichts. Das sind Welten, die aufeinanderprallen; und nur weil sich nach außen ein geordnetes Leben vermittelt, sagt das lange nichts über das „Innen“.
Das Paar, das nach außen so gefasst scheint, er Polizist, sie Näherin, Herr und Frau Mirador, deren Beziehung aus Klammern an Erinnerungen an ihren Sohn und Pflegebedürftigkeit besteht. Massen an Orangen verspeist Herr Mirador, das Leben seiner Frau besteht daraus, durch „die gärende Fruchtfleischsoße“ zu waten, zu putzen, für ihn.
Frau Mirador ist mit Laura-Sophie Warachewicz hervorragend besetzt, eindrücklich schildert sie in ihrem Orangen-Monolog den Ekel, den sie empfindet, vor den Bergen an Hinterlassenschaften (ehemals Orangen), vor ihrem Mann. Der Tod riecht nach Orangen – ein Bild, das sich einbrennt.

Für Concha (Otiti Engelhardt), Vitos Sekretärin, riecht der Tod nach Katzen. Für ihr Umfeld jedenfalls, denn was nur sie weiß, ist, dass eine Krankheit ihr Leben auf absehbare Zeit begrenzt. Die Krankheit ist es, die auf sie einen Schleier von Verwesungsgeruch legt. Engelhardts Spiel berührt,  ihre Leichtigkeit und gleichzeitige Schwere vermittelt das Gefühl von einer Todesnachricht im engen Bekanntenkreis.

Zwei Boten der Nacht, des Nachtlebens besser gesagt, sind Aurora und Bibi, zwei transsexuelle Sängerinnen, völlig losgelöst vom Glauben an sich selbst. Konrad Mutschler gelingt es hervorragend, den Schatten hinter der strahlenden und selbstbewussten Aurora aufzuzeigen.
Antonije Stankovic glänzt als Bibi, eine seiner vier Rollen an diesem Theaterabend, die er alle überragend füllt, seine Energie im Spiel ist bemerkenswert. Sie erfasst den Zuschauerraum, am liebsten möchte man Stankovic in noch viel mehr Rollen erleben.

Die komplexen Beziehungsgeflechte komplett zu durchschauen, ist schwierig, Textpassagen oft kryptisch im Verständnis. An der Bühnenrampe ist ein Mikrophon angebracht, an das sich Figuren dann wenden, wenn sie ihren Gefühlen Raum machen möchten, müssen. So kann man ihren Gedankengängen folgen, Denkmuster erkennen. Wann immer eine Figur sich der Position nähert, ist für den Zuschauer klar, es geht ums „Innen“, das ist genial gelöst.
Das neunköpfige Ensemble kreiert Bilder, die sich einbrennen. Düster, stellenweise makaber, und so tut es gut, beim Schlussapplaus in gelöste Gesichter zu sehen, man atmet selbst mit auf. Die Schwere des Gespielten – bittersüßes Spiel. Und das Gefühl, wie nach einem Stück Zartbitter-Schokolade.

Text: Leah Wewoda