Panikherz

„Panikherz“ // 04.01.2019 // Berliner Ensemble

Ein autobiografisches Werk auf die Bühne gebracht, irgendwo zwischen Live-Konzert und Punk-Theater. „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt von einem Leben zwischen Rausch und Verfall, von den goldenen Seiten des Rauschs ebenso wie von denen, die einen wie Wellen verschlingen. So weit, bis nur noch die Stehlampe im Wohnzimmer Anker des Alltags ist. Eine Inszenierung von Oliver Reese am Berliner Ensemble.

Das Meer ist eindeutig „der Punk unter den Naturgewalten“, das stellt Benjamin schon früh fest, so hat es sein großes Vorbild Udo Lindenberg gesagt. So möchte er auch mal sein, wild, losgelöst von irgendwelchen Regeln. Die sowieso nur gut gemeinte Ratschläge sind; nicht der Rede wert. Zwei Benjamins stehen sich da gegenüber, die Stimme des 17-jährigen Rebells, die rückblickende Stimme, die zu filtern versucht, was schon in jungen Jahren die Richtung vorgab, die sein Leben eingeschlagen hat. In der Eingansszene sind das Carina Zichner und Bettina Hoppe, im Stückverlauf teilen sich vier Schauspieler Stuckrad-Barres Stimme, Laurence Rupp und Nico Holonics kommen hinzu. Gespielt wird auf einem riesigen ausgelegten Teppich, in Rot- und Brauntönen, in U-Form darum herum die fünf Musiker, die den Abend live mitgestalten.

Es wird laut, abgedreht, besonders die ersten Exzesse strotzen vor Tanzwut, Sich-Ausprobieren, man wird mitgerissen, in die reizvolle Nachtwelt, das erste Mal „E“. Das zweite, dritte, vierte Mal, bis es dazugehört. Erst, so möchte man meinen, kommen sie harmlos daher, die Drogen: Man scheint ausschließlich eine gute Zeit zu haben. Der Reiz ist nicht zu verbergen, das klingt aber – zum Glück – bald wieder ab.

Spätestens, als man Stuckrad-Barre erzählen hört, von der Murmelbahn bei seinem Dealer, der betörenden Wirkung des „klok klok kloks“ der Murmeln, was sich dann entfaltet, wenn man entsprechend aufgelegt ist. Beziehungsweise aufgelegt hat. Allerspätestens dann, wenn es kein „Runterkommen“ mehr gibt. „Stadt, Stadt, Stadt, Grippostad, Grippostad, Grippostad“, eine dieser Nächte, in denen alles so klar scheint, es aber keinen klaren Gedanken zu fassen gibt.

Carina Zichner schafft es in ihrem brillanten Auftritt, den aneinandergereihten Wörtern so viel Gewicht zu verleihen, dass man sich ausmalen kann, wie das sein muss, wenn man doch so viel zu sagen hat, von dem der Rest der Welt scheinbar nichts versteht. Oder hören will? In einer inneren Unruhe kann sie keine Sekunde Stillstand ertragen, aufgekratzte Schritte tragen die aufgekratzten Gedanken. „Panikherz“ der letzte Begriff. Hoch anzurechnen ist ihr diese Leistung, findet auch das Publikum, Szenenapplaus.

Verheißungsvolle weiße Säcke liegen auf der Bühne, Nico Holonics wälzt sich im Koks, es ist einerseits überzeichnet, andererseits, denkt man, gar nicht so weit hergeholt, wenn einen die Sucht voll im Griff hat. Die vier Schauspieler sind hervorragend besetzt, spielen sich die Texte wie Bälle zu, sind da, und jeder hat eine ganz eigene Art, die Geschichte zu seiner zu machen – was schlussendlich die Art des Erzählens ausmacht. Das so aufzuteilen, auf vier Generationen, vier Sichtweisen einzunehmen, ist eine ausgeklügelte Herangehensweise, die bestens aufgeht.

Dieses Stück liefert Einblicke in die Sichtweise eines Abhängigen – von Drogen bis Essstörung – wie man sie kaum bildlicher serviert bekommen könnte. In Stuckrad-Barres Gedankenwelt, das erfährt man, gibt es einen markanten Unterschied zwischen denen, die unter der Woche ihr Leben leben, am Wochenende „feiern“ gehen, da kann einem schon mal ein Absturz rausrutschen. Dieses Klientel findet er unerträglich, ist er doch mittlerweile unter denen angelangt, die müssen – um sich zu betäuben.

Und am Ende, in aller Aufgewühltheit, wo Tag und Nacht verschwommen sind, geht einfach das Licht aus. Die beste Art, einen Schlusspunkt hinter die Geschichte zu setzen. Die Stehlampe im Wohnzimmer als Anker des Alltags – einfach ausgeknipst. Bravo an Panikherz.

Text: Leah Wewoda
Bildrechte: Julian Röder