Reading Performance: GRM – Brainfuck // Wagenhallen Stuttgart // 25.04.2019
„You want war, you’ll get war“, wieder und wieder ertönt diese Rap-Line, dazu wummern Beats aus den Boxen der Wagenhallen Stuttgart. Eine Live-Performance als Vorstellung ihres neuen Romans: Sibylle Bergs Präsentation von „GRM – Brainfuck“ geht weit über das Lesen einzelner Romanpassagen hinaus. Unterwegs waren sie und ihre Crew in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz, der letzte Stop in Stuttgart.
In der „Zeit vor irgendwas“ spielt sich das dystopische Szenario ab, „aber es ist ja immer die Zeit vor irgendwas“, liest Sibylle Berg. Sie sitzt im Schneidersitz, mittig auf der Bühne platziert, trägt einen schwarzen Overall. Mit ihr auf der Bühne stehen die Schauspielerinnen Beverly Mukunyadze und Otiti Engelhardt, Schauspieler Antonije Stankovic sowie am DJ-Pult Prince Rapid. Die Schauspieler hocken auf einem Ledersofa, jeweils ein Buch in der Hand, sie tragen Jogginghose und Hoodie, „lungern“ ist das richtige Wort. Schon durch ihre Sitzhaltung machen sie ihren Standpunkt und den der Charaktere im Buch klar: Sie sind auf sich allein gestellt, oder besser gesagt die, um die sich niemand kümmert. Die, denen man den Stempel „Generation ADHS“ aufdrückt, sie in eine Akte abheftet, nach dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“.
Sie sprechen die Passagen teils in verteilten Rollen, teils chorisch, greifen gekonnt den Rhythmus der Sprache auf. Sie bilden eine Einheit, düster dreinblickend, fast vorwurfsvoll, beinahe angsteinflößend wirkt das. Eine Wut staut sich in ihnen an hat man das Gefühl, Wut auf die Zustände, wie sie in Großstädten herrschen, in Vierteln, wo niemand für das Umfeld sorgt, in dem den Kindern ein sorgloses Aufwachsen möglich ist. Projektionen von Chas Apetti und Alex Bunge zeigen genau diese Viertel an einer großen Leinwand, mit Drohnen gefilmt, mit einem schwarzweiß Filter belegt. Grau, in grau, in grau.
Kameras sind allgegenwärtig, wie im Buch, so auch auf der Bühne. Die vollkommene Überwachung nimmt erschreckende Ausmaße an, so, dass nirgends mehr ein freier Fleck für eine Kamera sei, heißt es sinngemäß im Buch. Die Crew schreckt davor nicht zurück, an einer Stelle lässt Antonije Stankovic eine Kamera von der Bühne aus übers Publikum schweifen, das sich in Projektionen auf der Leinwand wiedererkennt. In anderem Kontext, wie man es manchmal auf Konzerten erlebt, hätten die Zuschauer der Kamera vielleicht zugewunken – im Kontext der Lesung macht sich ein ungutes Gefühl breit. Das der ständigen Überwachung. Wenn dann aus einem Nebenraum übertragen wird, wieder in schwarzweiß, wie Sibylle Berg eine Passage liest, vor dem kahlen Grau der Betonwände, mit direktem Blick in die Kamera, setzt sich dieses mulmige Gefühl fort. Ertappt fühlt man sich irgendwie, und stellt sich die Frage: Ist diese Dystopie wirklich so weit weg?
Als Rapper T.Roadz die Bühne betritt, wandelt sich die bedrückende Stimmung schlagartig in Power einer musikalischen Performance um. Man bekommt den Eindruck, er wisse genau, warum er die Musik macht, die er macht und wie er sie macht, Grime. Vielleicht genau deshalb: Um der Energie, die sich anstaut, eine Form zu geben, sie umzuwandeln in starke Worte auf starke Beats. Der 14-Jährige schafft es, die belesen verhaltene Menge mitzureißen. „Grime“ ruft er zum Abschluss ins Publikum, das antwortet mit „Brainfuck“. „GRM – Brainfuck“.
Die Performance zum Buch trifft den Nerv der Zeit und den des Publikums. Und den „der Welt in der Wir leben. Heute. Und vielleicht morgen.“ Bedrückend ungeschminkt.
Text: Leah Wewoda
Bildrechte: Chas Apetti