Mainfranken Theater Würzburg
Premiere, 27. November 2016
Sie ist unverkennbar einzigartig – die Ouvertüre aus Mozarts »Die Entführung aus dem Serail«. Bereits die ersten Klänge ebenjener Meisterkomposition entführen die Zuschauer über die Wogen des Mittelmeeres in den fernen Orient.
Dort wird Konstanze (Silke Evers) mitsamt ihrer Zofe Blonde (Anja Gutgesell) und dem Lakai Pedrillo (Maximilian Argmann), bei einem Seeräuberüberfall, von ihrem Verlobten Belmonte (Roberto Ortiz) getrennt. Anschließend, auf einem Sklavenmarkt verschachert, gelangen sie in den Besitz des Bassa Selim (Wolfram Rupperti) und seinem drakonisch-proletenhaften Paladin Osmin (Tomasz Raff). Belmonte plant die Befreiung seiner Liebsten und sucht die Ländereien jenes Edelmannes an der türkischen Küste auf. Währenddessen hat Selim sein Herz an die holde Konstanze aus dem Okzident verloren und buhlt um sie. Doch diese kann sich aus Liebe zu Belmonte dem stolzen und einfühlsamen Selim nicht hingeben. Auch Blonde, die Verlobte von Pedrillo, hat mit den Launen ihres neuen Herren, dem tölpelhaften Wächter Osmin, zu kämpfen. Mithilfe von Pedrillo kann Belmonte in Selims Gestade infiltrieren, indem er vorgibt ein arrivierter Architekt zu sein. Dort schmieden die beiden Kumpane einen folgenreichen Komplott, um mit ihren Herzensdamen zu echappieren – die Entführung aus dem Serail nimmt ihren Lauf.
Die anwesenden Spektatoren erliegen in äußerst kurzweiligen 21/2 Stunden vollkommen dem eigenartigen Charme der volksnahen OpernInszenierung von Sigrid Herzog. Diese setzt in ihrer Konzeption den Fokus auf eine genaue Skizzierung der handelnden Protagonisten und erarbeitet in akribischer Feinarbeit die divergierenden Charakterzüge und Haltungen im Umgang mit den zentralen zwischenmenschlichen Konflikten. Somit wird gewährleistet, dass die Zuschauer ihre Aufmerksamkeit auf die agierenden Personen in der zeitlos angelegten Regiearbeit richten. Auf die Aufarbeitung gegenwärtiger – hierzu entfernt affiner – Krisenherde und eine daraus resultierende, plakative Moralpredigt wird verzichtet. Dennoch sind die Wesenszüge der Hauptfiguren, aus der 1782 uraufgeführten Oper, in der breiten Masse unseres globalisierten Planeten allgegenwärtig. Ferner verweist »Die Entführung aus dem Serail« auf die aufklärerische Maxime und untermauert somit lustspielhaft und verspielt jenen Leitgedanken aus Lessings »Nathan«, der Würzburger Eröffnungspremiere. Sigrid Herzog ist ebenso wie der Intendant des Dreispartenhauses Markus Trabusch an der Würzburger Dialogfassung beteiligt und erweitert das Libretto von Gottlieb Stephanie dem Jüngeren, der sich auf Christoph Friedrich Bretzners Ursprungsfassung bezieht, um komische und philosophisch-anmutende Passagen.
Das Orchester glänzt unter der temperamentvollen Leitung von Enrico Calesso und bedient Mozarts emotionsgeladene, liebestrunkene Partitur voller Verve.
Bassa Selim, die einzige Sprechrolle der Oper, wird von Wolfram Rupperti äußerst ergreifend – mal stolz, leidenschaftlich, herrisch, mal emphatisch, selbstlos und in der Rationalität gebrochen – figuriert. Wenn Rupperti allein im gesprochenen Wort die Emotion und am Ende gar die Ratio artikuliert, ergänzt dies Mozarts impulsive Musik um eine weitere ästhetische Komponente. Die Sopranistin Silke Evers singt die Partie der Konstanze in den Koloraturen sicher und überzeugt mit ihrem Mimenspiel. Anja Gutgesell als Blonde (Sopran) verleiht der Inszenierung mit ihrer farbigen Stimme und ihrer koketten Ausstrahlung frischen Esprit. Doch zum eigentlichen Star des Abends avanciert sich Tenor Roberto Ortiz als Belmonte mit berührenden Gesang und leuchtendem Timbre. Es geht unter die Haut, wenn Belmonte, mit der Gewissheit gemeinsam mit seiner Liebe den Weg ins Jenseits anzutreten, gefasst seiner Exekution entgegenblickt. Die Schicksalbande verstricken Selim und Belmonte in ihren Schlingen, war es doch gerade Belmontes Vater der Selim von der Iberischen Halbinsel verjagte und ihm alles beraubte. Maximilian Argmann (Tenor) singt den Pedrillo äußerst fidel und kann sich mit seinem schauspielerischen Können als Schelm, insbesondere in Kombination mit Tomasz Raff (Bass) als Osmin in der Szene um »Vivat Bacchus! Bacchus lebe!«, in die Herzen der Zuschauer spielen.
Vier Augen, ein eindringlicher Blick in die Seele des Anderen. Dankbarkeit? Liebe? Konstanze und Bassa Selim im erlöschenden Schlussspot. Ein Schiff bricht zu neuen Ufern auf… Eine farbenfrohe Inszenierung, die durch einen rosaroten Filter die Vergangenheit beleuchtet, die Gegenwart bestrahlt und naiv-zuversichtlich aber dennoch versöhnlich in die Zukunft blickt. Eine Entführung aus der Tristesse – frenetische Beifallstürme, minutenlanger Applaus.
Text: Philipp Wolpert und Tobias Frühauf
Bildrechte: Nik Schölzel (Mainfranken Theater Würzburg)