Dunkelheit. Ein Schlafzimmer und eine Küche, alle Fensterscheiben sind verdunkelt, das Tageslicht ausgesperrt. Smilla Jaspersen hat Mühe, aus dem Bett zu kommen. Schläfrig steckt sie sich eine Zigarette in den Mund und sucht auf dem chaotischen Schreibtisch nach einem Feuerzeug.
Sie findet nur weitere Zigaretten.
Fräulein Smillas Gespür für Schnee, der weltberühmte Thriller des dänischen Autors Peter Høeg, bietet die Grundlage für die Theateradaption des Regisseurs Armin Petras, eine Koproduktion des Thalia Theaters Hamburg und des Maxim Gorki Theater Berlin, als Gastspiel im Kammertheater Stuttgart.
Der Roman dreht sich um die junge arbeitslose Wissenschaftlerin Smilla Q.
Jaspersen, die als Einzelgängerin in Kopenhagen lebt. Mit einer grönländischen Mutter und aufgewachsen im Ewigen Eis kann und will sie sich nicht so richtig an die europäische Kultur anpassen, die Beziehung zu ihrem dänischen Vater ist alles andere als harmonisch.
Eines Tages stirbt ihr Nachbar und Freund Jesaja, ein junger Inuit, mutmaßlich durch einen tragischen Unfall – er stürzt vom Dach ihres Wohnhauses. Smilla jedoch, die sich den Tatort genau angesehen hat, bezweifelt, dass sein Tod ein Unfall war, denn Jesaja litt unter furchtbarer Höhenangst, hätte sich also nie freiwillig auf das Dach getraut. Außerdem gibt ihr der Schnee, in dem sie lesen kann wie in einem Buch, Hinweise auf ein Verbrechen. Und so beginnen ihre Ermittlungen, die sie bis in ihre Heimat und in ihre eigene Vergangenheit führen.
Es spielen Susanne Wolff als Smilla Jaspersen und Peter Jordan, der eine Vielzahl an anderen Rollen übernimmt, mal männlich, mal weiblich, beispielsweise den Nachbarsjungen Jesaja oder Smillas Vater Moritz.
Wolffs Smilla ist sehr facettenreich, mal kindlich-naiv, mal forsch, zwischendurch
melancholisch, aber immer originell und eindringlich, die Stimme tragend und vielseitig eingesetzt, zum Singen, Bellen und Fluchen.
Jordans Rollen sind oft ulkig, manchmal leider etwas zu sehr. Das verleiht dem Stück zwar viel Tempo, nimmt ihm aber oftmals die Spannung und zeitweise auch die Glaubhaftigkeit.
Die Geschwindigkeit wird auch durch sehr lange Szenen gedrosselt, die nicht so richtig Fahrt aufnehmen wollen, oft ist es vor allem das Komödiantische, wie der Redeschwall des schwedischen Pathologen, das die Geduldsfäden etwas strapaziert.
Zudem herrscht ein reger Informationsüberfluss durch ständige Rollenwechsel und lange, inhaltsreiche Monologe.
Der Kontrast zwischen bedeutungsvollen Originalzitaten und fast clownhaften Passagen macht das Stück leider nicht fesselnder, sondern stört die Konzentration der Zuschauer erheblich.
Es gibt einige außerordentlich gut gelungene Szenen, Smilla im Drogenrausch beispielsweise, wie sie knurrend und bellend zu Technomusik über die Bühne wirbelt. In stillen, langsamen Szenen lernt man hingegen eine andere, aber nicht minder eindrucksvolle Seite der taffen Smilla kennen, über ein altes Tonbandgerät singt sie gemeinsam mit ihren Ahnen und erzählt von ihren Erinnerungen an ihre verschwundene Mutter – Texte und Melodien, die im Kopf bleiben und berühren.
Genauso gibt es Szenen, die aus anderen Gründen im Gedächtnis bleiben. So ist der einzige Auftritt Jesajas ein unangenehmes Zusammentreffen einer unhöflichen Smilla auf ein nervtötendes Kind, es lässt sich im ganzen Stück kein Grund dafür finden, warum Smilla so sehr um ihren Nachbarsjungen trauern sollte, wie sie es tut.
Jordan verkörpert Jesaja, indem er auf Knien über die Bühne rutscht und mit hoher Fistelstimme Fragen stellt und nimmt dem Zuschauer jede Möglichkeit, eine Verbindung zu der Figur aufzubauen.
In einer anderen Szene werden Smilla und ihr Nachbar, der Mechaniker, intim und die ganze Zeit über möchte man eigentlich nur peinlich berührt wegschauen. Sinn und Zweck der Szene ist unersichtlich, sie steht in keinem Kontext zum Rest des Stücks.
140 Minuten zwischen Klamauk und depressiven Anwandlungen hinterlassen am Ende eine Gänsehaut, nicht weil der Zuschauer so tief berührt ist, sondern, weil nichts als Leere und ein wenig Irritation zurückbleibt.
Na ja, zumindest muss man nicht frieren.
Text: Leonie Schwenk
Fotos: Bettina Stöß