Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

„Riechst du das? Hier riecht es nach Glück!“

Was haben eine rote Krawatte, ein Sparschwein aus Porzellan und zwei getrocknete Rosenblätter gemeinsam? Nein, es sind keine Zutaten für einen süffigen Cocktail. Die richtige Antwort ist ein „Ich packe meinen Koffer“ à la „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, denn Sommerzeit ist ja bekanntlich Reisezeit. Ursprünglich ein Roman des französischen Schriftstellers Éric-Emmanuel Schmitt, das einigen als Schullektüre geläufig sein dürfte. Worum es geht? Um einen Jungen, der in seiner Familie nichts als Kälte spürt, erst der ergraute Monsieur Ibrahim „vom goldenen Halbmond“, verpönt als „Araber“ , zeigt ihm, worauf es wirklich ankommt im Leben und was Wärme bedeutet. Et voilà: Wir packen unseren Koffer mit Details der Vorführung im Theater am Olgaeck in Stuttgart. Ich packe meinen Koffer und nehme mit…

…Die rote Krawatte. Als unscheinbares Accessoire hängt sie zwischen Hut und Mantel an einem hölzernen Kleiderständer, am linken Rand der beschaulichen Bühne. Licht an, französische Akkordeonmusik – Check. Und schon taucht unser Protagonist Moses (David Bernecker), auch genannt Momo auf: gekleidet in rostroter Hose und hellorangefarbenem Hemd. Vollkommen wird dieses Outfit aber erst durch die lose, viel zu kleine, rote Krawatte. Der Bühnenraum ist in zwei Schauplätze gegliedert: Links das heimische Wohnzimmer, das er mit seinem Vater bewohnt – kalt, wie Moses diesen Raum und im Übrigen die Vater-Sohn-Beziehung empfindet. Viel mehr als ein kaltes Gespräch, in dem der Vater, der auf der Bühne übrigens nicht verkörpert ist, nichts als Vorwürfe und Forderungen für Moses übrig hat, ist nicht drin. Waschen, kochen, einkaufen: „Einfach alles“ muss der Junge ausführen, und wird zu allem Übel immerzu mit seinem großen Bruder Popaul verglichen – Selbstzweifel sind vorprogrammiert. Der Einzige, der Verständnis für diese Selbstzweifel aufbringt und dies beseitigen möchte, ist Monsieur Ibrahim (Vanessa Nebenführ). Dessen Ladenraum ziert die rechte Bühnenhälfte. Im Angebot: Konservenbüchsen so weit das Auge reicht; die Regalwände einfach, aber wirkungsvoll durch aufeinandergestapelte Stühle dargestellt.

…Das Sparschwein aus Porzellan. Wolkenweiß – leider entgegen der Buchvorlage, die ein „kotzgrünes“ Sparschwein vorsieht; als Inbegriff des „kotzgrünen“ Lebens des jungen Moses. Dieser schlachtet als 13-Jähriger das besagte Sparschwein, um sich mit dessen Inhalt die Liebe einer Dirne zu kaufen. Gesagt, getan: Er begibt sich in’s sexuelle Paradies, in die „Rue de paradis“ – und bekommt dort tatsächlich beigebracht, „Liebe zu machen“. Allerdings nur spartanisch angedeutet – auf der Bühne bleibt es bei zaghaften Umarmungen und intime Stimmung kommt beim Zuschauer kaum auf. Als Geschenk bringt Moses seiner Liebschaft einen Plüschteddybär mit. Dieser, so geht es aus Schmitts Schriftvorlage hervor, hat im Leben des Jugendlichen einen bestimmten Stellenwert, könnte Ersatz sein, für die Liebe, die ihm seitens des Elternhauses fehlt. Oder aber steht er für Moses‘ Kindheit, die er mit dem Weggeben von sich gibt – näher ergründet wird dies im Stück nicht, lediglich beiläufig abgehandelt. Schade.

…Der SalzstrPressefoto_MonsieurIbrahim2euer. Immer wieder klaut Moses in Monsieur Ibrahims Laden, in der Hoffnung, dieser würde davon nichts mitbekommen. In Wahrheit aber liest M. Ibrahim aus Momos Gesichtsausdruck, was dieser gerade denkt – und ertappt ihn dabei auf frischer Tat, wie er den Salzstreuer klammheimlich in seinem Hemd verstaut. Als Denkanstoß bekommt er den Salzstreuer geschenkt, wie immer mit einem großen, breiten Lächeln seitens M. Ibrahim, übrigens hervorragend von Vanessa Nebenführ verkörpert. Dass Momo auf diese eigenartige Reaktion verdutzt reagiert, versteht sich von selbst – wider Erwarten ist es aber genau diese Situation, mit der die Freundschaft der gegensätzlichen Charaktere beginnt.

…Ein Paar Schuhe. „Drücken dich die Schuhe – wechsle sie.“ Weisheiten wie diese können nur von Monsieur Ibrahim kommen. Weise und lebenserfahren lehrt er Momo wichtige Tugenden im Leben – das Lächeln und das Tanzen. „Riechst du das? – Hier riecht es nach Glück!“. Das Thema Religion sticht zwar im Titel heraus, geht in der Aufführung aber eher unter. Im Zentrum der Handlung steht das Glück und die Zufriedenheit, die in Monsieur Ibrahim ruht. Miteinher geht dabei der Pinsel, mit dem Momo seinem Zuhause nach dem Selbstmord seines Vaters einen neuen Anstrich gibt. Sinnbildlich wandelt er sein eigenes Wesen und zeigt somit, dass er bereit ist, sich Monsieur Ibrahim zuzuwenden und adoptiert zu werden. Eindrücklich ist die Szene, die diesen Prozess darstellt: Verzweifelt, unsicher, verloren tigert Momo auf der Bühne umher, packt unruhig das Inventar der Wohnung zusammen, Bücher, Regale und Sessel – und schiebt alles hinter einen schwarzen Vorhang. Leer ist nun die Wohnung, doch eine gewisse Ruhe scheint nun in Momo innezuwohnen. Endlich.

…Eine Ausgabe der Autobild. Ein nettes Detail aus dem 21.Jahrhund
ert, importiert in die Handlung. Momo soll daraus ein Auto aussuchen, mit dem sich er und M. Ibrahim auf und davon machen, weg, zum goldenen Halbmond. Pressefoto_MonsieurIbrahim1Dazu muss aber erst einmal ein Auto her: Passend zu Hose und roter Krawatte entscheidet sich Momo, klar, für einen roten Sportwagen. Momo selbst verschwindet in dieser Szene von der Bildfläche – er wird mithilfe einer rustika
len Brille und gelb-braunem Blazer kurzerhand zum Autoverkäufer. Eine echte Besonderheit dieser Aufführung: Mit nur zwei Schauspielern wird jede einzelne Rolle besetzt, von der Dirne bis zum Polizisten, ohne Unterbrechung. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass rund zehn verschiedene Charaktere im Spielverlauf umgesetzt werden.

Ob zwei getrocknete Rosenblätter die Blumen des Korans sind? Momo jedenfalls findet sie genau dort, nach dem Tod Monsieur Ibrahims, in seinem kleinen Laden, den er ihm hinterlässt. Geöffnet hat er von 8-24 Uhr, natürlich auch sonntags, ein waschechter Araber eben.

Eine rote Krawatte, ein (weißes) Sparschwein aus Porzellan, einen Plüschteddybär, einen Salzstreuer, Schuhe, Pinsel, eine Ausgabe der Autobild und zwei getrocknete Rosenblätter – dies packen wir Momo für diese Theatervorstellung in den Koffer. Und schicken ihn damit in einen melancholischen Abend, der inhaltlich anspruchsvolle Kost serviert.

 

Text: Katharina Petry und Leah Wewoda

Bilder: Theater am Olgaeck